Montag, 22. August 2011

Angst vor radioaktiven Lebensmitteln

Quelle:
http://www.tagesschau.de/ausland/japanlebensmittel104.html
Nach der Atomkatastrophe in Fukushima

Angst vor radioaktiven Lebensmitteln

Die Japaner haben Angst vor radioaktiven Lebensmitteln. Kontrollen der Regierung empfinden sie als nicht vertrauenswürdig. Also kaufen sie Produkte, die weit entfernt von Fukushima angebaut wurden. Dies entzieht Bauern und Fischern aus der Region ihre Lebensgrundlage.
Von Peter Kujath, ARD-Hörfunkstudio Tokio
In wenigen Wochen kommt der frisch geerntete Reis in die Verkaufsregale in Japan. War in früheren Zeiten der komai, der alte Reis, deshalb ein Ladenhüter, droht in diesem Jahr der neue Reis von den Verbrauchern verschmäht zu werden.

 Ein japanischer Ladenbesitzer berichtet: "Was komai angeht, so musste ich in den letzten ein, zwei Wochen den ganzen Bestand bei meinen Farmern aufkaufen. Denn es gab Kunden, die plötzlich 20 Kilogramm auf Vorrat kaufen wollten. Sie sagen, dass Reis vom letzten Jahr einfach sicherer ist."

Japaner sind bei ihren Einkäufen verunsichert

Die japanische Regierung hat angeordnet, dass vor der Ernte die Reisfelder auf ihre radioaktive Belastung hin untersucht werden sollen und dann noch einmal der Reis selbst, bevor er in den Handel kommt. Aber die Japaner sind verunsichert.
"Ich habe mich noch nicht mit altem Reis eingedeckt", sagt eine Kundin. "Aber ich habe schon vor, einen entsprechenden Vorrat anzulegen, damit er bis zum Winter hält. Bis zur Ernte im nächsten Jahr werde ich dann Reis aus West-Japan beziehen. Das tut mir zwar leid für die Bauern in den betroffenen Gebieten, aber ich glaube, es ist besser so." Die Mutter von drei Kindern ist seit der Atomkatastrophe von Fukushima bei ihren Einkäufen sehr vorsichtig geworden. Die japanische Regierung versucht, so viele Lebensmittel wie möglich zu kontrollieren und veröffentlicht täglich entsprechende Listen.

Misstrauen gegenüber den Lebensmittelkontrollen

In jüngster Zeit ist ein Bann für Rindfleisch aus der Präfektur Fukushima erlassen worden, weil in verschiedenen Städten belastetes Fleisch gefunden wurde. Neben Fukushima wurde auch der Verkauf von Rindfleisch aus den Präfekturen Tochigi, Miyagi und Iwate verboten, weil die radioaktive Belastung den provisorischen Grenzwert überschritten hat.
Aber viele Menschen in Japan trauen den Angaben der Regierung nicht mehr. Zu oft hieß es, es sei alles in Ordnung, um bei den Messungen dann doch erhöhte Werte festzustellen. Zuletzt betraf es eben Rinder, weil die Tiere mit radioaktiv belastetem Stroh gefüttert wurden. Als die Messungen stattfanden, waren Teile des Fleisches bereits im Handel.

Unangenehmes Gefühl beim Fleischessen

"Wenn ich Fleisch kaufe, dann gehe ich nur zu vertrauenswürdigen Läden, wo es sicheres Rindfleisch gibt. Aber es bleibt trotzdem ein unangenehmes Gefühl zurück. Wenn wir Fleisch essen, versuche ich, nicht zu viel an die Strahlenbelastung zu denken", erzählt eine japanische Mutter.

Wer Japaner in den Supermärkten darauf anspricht, ob sie bewusst Produkte aus der Präfektur Fukushima vermeiden, erntet meist ein Schweigen. Auf der einen Seite will man die Menschen dort unterstützen, auf der anderen Seite ist die Angst groß, dass trotz der Messungen die Lebensmittel verstrahlt sein könnten. In Fukushima, in der auch das gleichnamige, havarierte AKW liegt, ist deshalb der Verkauf von Obst und Gemüse um 70 bis 90 Prozent zurückgegangen. Jetzt wäre eigentlich Hauptsaison für Pfirsiche.
"Der Verkauf läuft extrem schlecht. Dabei sind wir Früchte-Bauern überzeugt, dass unsere Produkte sicher sind", sagt ein Verkäufer. "Ich hoffe, dass die Menschen wieder Fukushima besuchen und auch die Pfirsiche probieren werden."

Kunden achten auf Herkunft der Produkte

Um diese Sicherheit zu dokumentieren, gibt es seit kurzem eine Internet-Seite (www.new-fukushima.jp) unter der die Produkte aus den verschiedenen Regionen in Fukushima aufgeführt und detailliert die Ergebnisse der Messungen mit entsprechendem Datum aufgelistet werden. Ob diese Angaben das Vertrauen der Verbraucher zurückbringen können, bleibt abzuwarten.
Ein Ladenbesitzer erzählt: "Die Kunden achten mittlerweile sehr auf die Herkunft, wo die Produkte angebaut werden. Ich denke, das liegt daran, dass es immer klarer wurde, dass die Beteuerungen der Regierung nicht glaubwürdig sind. Es spielt keine Rolle mehr, wenn die Behörden versichern, dass die Belastung unter dem Grenzwert liegt. Die Kunden haben entschieden, auf Nummer sicher zu gehen, und ich habe das Gefühl, sie suchen gezielt Produkte aus weit entfernten Anbaugebieten."

Vor allem Fischer haben Lebensgrundlage verloren

Für die Einkommensausfälle steht den betroffenen Bauern eine Entschädigungszahlung durch Tepco zu, aber der Prozess bis zur Auszahlung ist langwierig. Wenn im Boden eine erhöhte Strahlenbelastung gemessen wird, soll eine Dekontaminierung, eine Reinigung oder ein Abtragen der obersten Schicht stattfinden. Aber auch das ist eine schwierige und langwierige Prozedur. Neben den Bauern sind es vor allem die Fischer in Fukushima, die wegen der Atomkatastrophe ihre Lebensgrundlage verloren haben. Seit dem zwölften März dürfen sie vor der Küste nicht mehr ihrem Beruf nachgehen.

Fisch bleibt neben Reis das Hauptnahrungsmittel der Menschen in Japan. Aber wer kann, ist auch hier vorsichtig. "Meeresprodukte besorge ich mir auch lieber aus Osaka", sagt eine Kundin. "Ich bitte einen Fischhändler dort, uns einmal im Monat Fische zu liefern. Die friere ich dann erst einmal ein. So habe ich ein gutes Gefühl, wenn wir Fisch essen." Das können sich aber längst nicht alle Familien in Japan leisten.