Sonntag, 24. April 2011

Tschernobyl: eine europäische Herausforderung. 25 Jahre nach der Katastrophe

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Salzburger Nachtstudio *

Mittwoch
20. April 2011
21:00
Tschernobyl: eine europäische Herausforderung. 25 Jahre nach der Katastrophe. Gestaltung: Ulrike Schmitzer
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima passierte 25 Jahre nach dem Atomunfall in Tschernobyl. Auch nach 25 Jahren weiß man wenig über Folgen für den Menschen. Es gibt zahlreiche Studien, aber keine einhellige wissenschaftliche Meinung. Warum?

Verschwörungstheoretiker wissen es längst: Die Atomlobby hat ihre Finger mit im Spiel, wenn es um Studien über Gesundheitsschäden für den Menschen nach dem Tschernobyl-Unfall geht. Das Tschernobyl Forum- angeführt von der IAEA, der Internationalen Atomenergie-Behörde und der Weltgesundheitsorganisation WHO - geht davon aus, dass bisher weniger als 50 Menschen wegen Tschernobyl sterben mussten. "Das ist eine glatte Lüge und gegen diese Lüge versuchen wir zu argumentieren", sagt der Physiker und Bürgerrechtler Sebastian Pflugbeil von der Deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz.

9.000 Tote

Das Tschernobyl-Forum räumt ein, dass 4.000 Liquidatoren und Bewohner der evakuierten Zone an Krebs sterben werden, dazu werden noch rund 5.000 Krebstote in anderen kontaminierten Gebieten kommen - also insgesamt rund 9.000 Tote in Russland, Weißrussland und der Ukraine.

"Bei Krebs und Leukämie ist man sich einig, dass das von Strahlung kommen kann", sagt Sebastian Pflugbeil. "Aber wo man sich überhaupt nicht einig ist, sind die Nicht-Krebserkrankungen, Herzkreislauferkrankungen, Herzinfarkt, Schlaganfall, das sind Erkrankungen, die bei Liquidatoren auffällig erhöht sind und die ganz offensichtlich mit Strahlung zu tun haben."

Oder doch 1,5 Millionen Tote?

Alexey Yablokow von der Russischen Akademie der Wissenschaften hat berechnet, dass fast 1,5 Millionen Tote auf das Konto von Tschernobyl gehen. Yablokow verglich die stark kontaminierten Gebiete mit den weniger kontaminierten Gebieten, die ökonomisch, sozial und ethnisch völlig identisch sind, einziger Unterschied: die Verstrahlung. Wem soll man also glauben? Einem alten Professor aus Russland oder der UNO? Dazu muss man folgendes wissen:

WHO Berichte - eine Farce?

Seit 1959 ist die Weltgesundheitsbehörde WHO per Vertrag an die Internationale Atomenergiebehörde geknebelt - ausgerechnet an die IAEA, in deren Satzung dezidiert steht, dass ihre Aufgabe die Förderung und der Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist. Keine Studie gelangt ohne Zustimmung der IAEA an die Öffentlichkeit. "Die IAEA entscheidet meist, dass nicht publiziert wird. Das ist ein unhaltbarer Zustand", beklagt Sebastian Pflugbeil.

Studien über die Folgen werden nicht beachtet

Es gibt die Studien, die wissenschaftlich nachweisen, wie die wahren Folgen von Tschernobyl aussehen. Sie werden nur einfach nicht beachtet oder in Frage gestellt.

Studie 1

Hagen Scherb vom Helmholtz Zentrum München hat herausgefunden, dass die niedrige radioaktive Strahlung nach Tschernobyl in Europa enorme Auswirkungen hat: Scherb untersucht seit 10 Jahren genetische Effekte nach Tschernobyl. Und es zeigt sich Erstaunliches: das Geschlechterverhältnis hat sich in Europa deutlich verschoben - es kommen weniger gesunde Mädchen zur Welt. Insgesamt sind in ganz Europa 500.000 -600.000 Mädchen durch Tschernobyl "verloren" gegangen. Durch Totgeburten, Frühgeburten oder schon viel früher - dadurch, dass die radioaktive Verseuchung das x-Chromosom beschädigte.

Studie 2

Fetale Zellen sind ganz besonders strahlenempfindlich, sagt Karl Sperling von der Humangenetik an der Humboldt-Universität in Berlin. Das hatte in den ersten Tagen nach Tschernobyl deutliche Auswirkungen. Sperling stellte fest, dass die Fälle von Trisomie 21 in Deutschland zunahmen, es kamen mehr Kinder mit Down-Syndrom zur Welt. Auch das ist eine Sache der Genetik: Trisomie-21 Kinder haben ein zusätzliches Chromosom. Schuld war die Aufnahme von Jod 131 in den ersten acht Tagen nach der Katastrophe.

Keine Studien für Österreich

In Österreich sind durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl rund 1.000 Menschen mehr von Krebs betroffen als ohne die zusätzliche Belastung- die Hälfte davon ist schon verstorben. Die Medizinische Universität Wien hat das vor kurzem bis ins Jahr 2065 hochgerechnet. Antonia Wenisch vom Ökologie-Institut beklagt, dass es keine detaillierten Studien gibt. Dabei gilt Österreich nach der Ukraine und Weißrussland als das am stärksten betroffene Gebiet in Europa.

Grenzwerte von der Atomlobby

Fraglich ist auch, welche Strahlungsmenge dem Menschen wirklich schadet. Die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) gibt vor, wie viel radioaktive Strahlung dem Menschen zugemutet werden kann. Diese Grenzwerte stammen jedoch nicht von einem unabhängigen Expertengremium, wie man meinen könnte. Die Kommission wurde von Wissenschaftlern gegründet, die im Dienst der Atomindustrie standen und nur eine Aufgabe hatten: sie sollten die Ausgaben für den Strahlenschutz möglichst gering halten.

Auch wenn man heute mehr über das Risiko weiß, werden die Grenzwerte nicht entsprechend heruntergefahren, kritisiert der Strahlenbiologe Wolfgang Köhnlein. Auch hier ist wieder ganz klar, wem das Interesse gilt: "Das ist eben ein Strahlenschutz, der die Strahlen schützt und nicht die Menschen!"

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